Und wieder rein in den Dschungel

Seit meinem Geburtstag ist das Leben in Kolumbien durch eine landesweite Quarantäne zum Stillstand gebracht. Ich befinde mich in einem kleinen Dorf in Putumayo, unweit der Comunidad, in der ich Monate verbracht habe.

Nach einer toma bei Chepe in Bogotá hat mich der junge „cuco“ Luis zu sich und seiner Familie eingeladen. Er hatte Chepe gefragt, wer diese verlorene Frau sei. Er hatte nach der curación zu mir gemeint, vergiss diesen Mann, er tut dir nicht gut, vergiss diesen Ort, er schadet dir. Ich fragte ihn, wer ihm davon erzählt hatte – die Menschen in Putumayo sehr chismosos (Tratschtanten), so dass ich dachte, es wurde bis ins eine Stunde von der Comunidad entfernte Dorf getratscht. Aber nein, er habe nichts gehört, er habe es während der curación gesehen. Ich war beeindruckt (falls das wirklich stimmt) und bedankte mich unter Tränen für die Einladung mit den Worten „ich werde zu euch kommen, muchas gracias“.

Eine Woche später sitze ich im Bus Richtung Süden und fahre erst einmal in die Comunidad zum Karneval der Cofán, einem dreitägigen traditionellen Fest. Es gibt andine Musik zum Tanzen, guarapo (fermentiertes Zuckerrohrwasser) und Essen für alle in der Schule. Die meisten tragen ihre traditionelle Kleidung: cushma für Männer und follera für Frauen.
Als ich am frühen Nachmittag ankomme, tanzen bereits viele bunt gekleidete Cofán. Evelin kommt strahlend zu mir gerannt und wir umarmen uns herzlich. Auch Jovanni kommt strahlend auf mich zu. Entweder hat er schon ordentlich einen im Tee oder er freut sich tatsächlich, dass ich sie für zehn Tage besuchen komme – zehn Tage war der ursprüngliche Plan, bis ich diesen nach Luis‘ Kommentar auf gesunde drei Tage verkürzt hatte. Und noch einer scheint sich sehr über meine Rückkehr zu freuen. Als ich Cumbia freudig begrüße, dreht er sich verstohlen zur Seite und wischt sich die Tränen aus den Augen, bevor er mich umarmt und kaum wieder loslassen möchte. Mir wird guarapo gereicht und ich werde auf die Tanzfläche gezogen. Ab jetzt heißt es drei Tage durchtanzen, -trinken, -feiern.

Die traditionellen Tänze sind anders als die Paartänze bei den sonstigen Festen. Es wird einzeln getanzt, jeder für sich oder in der Gruppe. Zu manchen Rhythmen gibt es bestimmte Schritte, und doch kann jeder tanzen wie er möchte. Ich bin erstaunt über die geringe Anzahl tanzfreudiger, traditionell gekleideter Cofán – zu den Fiestas zu Weihnachten und Neujahr, war die Tanzfläche brechend voll und noch voller zu den Fiestas während des Jahres mit Hahnenkampf und teurem Bier. Zum Karneval ist alles gratis. Die fleißigen Hände der Comunidad haben Tage zuvor Fässer voll guarapo hergestellt, Holz für die Suppenküche geschlagen und sonstige Vorbereitungen für das Fest gemeinsam getätigt. Das (nahende) traurige Ende einer wertvollen Kultur. Bier, Lippenstift, Arschwackelmusik sind die Zukunft. Mir gefällt guarapo besser als Bier. Schmeckt besser, berauscht besser, verkatert und kostet besser.. nämlich nicht/s.

In der Nacht lädt mich Jovanni ein, mit ihm die lange aufbewahrte kubanische Zigarre zu paffen und guarapo zu trinken. Während wir gemeinsam auf der Holzbank auf dem neuen, von mir gesponsorten Betonfußboden vor dem Haus sitzen und uns die gute cubano hin und her reichen, spricht Jovanni Worte, die mir nahe gehen. Er dankt mir für alles, was ich für sie getan habe und entschuldigt sich für einige Sachen, die nie hätten passieren dürfen. Mit Tränen in den Augen, danke ich ihm dafür und verstehe erst viel viel später, wie außergewöhnlich diese Worte waren, als mir Luis erklärt, dass ein Indio sich nicht entschuldige. Er hülle sich in Schweigen, denke über die Situation nach und ändere sein Verhalten, aber niemals gebe er sein Versagen anderen gegenüber zu.

Am Morgen besuche ich Cumbia, um ein paar Sachen wie die Gummistiefel und das Regencape abzuholen. Ich fühle mich zuhause, als ich „meine Küche“ betrete und uns einen Kaffee koche. Wir plauschen auf der Terrasse zum Fluss, die über ein Monat mein Schlaf-, Wohn- und Esszimmer war. Wenn es nach ihm ginge, würde ich bleiben und zwei Kinder gebären, eines für ihn und eines für mich. Ich lehne dankend ab und verabschiede mich lachend, um weiter guarapo zu trinken und zu tanzen.

Am letzten Tag tanzen in zwei Reihen Männer und Frauen aus der Schule heraus auf den Platz, um einen gemeinsamen Abschlusstanz zu tanzen, während Morales Gitarre spielt. Nach einer tränenreichen Ansprache der Comunidadältesten doña Kristina und der Bürgermeisterin Arely stellen sich alle an, um eine Segnung mit Bemalung und Blumen zu empfangen, bevor der Karneval offiziell für beendet erklärt wird, der guarapo durch Bier und die andine Musik durch cumbia, merengue und bachata ersetzt werden. Manche tanzen weiter durch die Nacht, ich falle müde in die Hängematte.

Alle Fotos vom Karneval © Arely

Am nächsten Tag verlasse ich die Comunidad und gelange über Umwege wegen des Streiks in das kleine Dorf, in dem Luis mit seiner Familie und einigen jungen verlorenen Menschen wohnt. Mein neues Zuhause für länger als gedacht …

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