Bis ans Ende der Welt

Carlos aus Quito, den ich im Park kennenlernte, kommt mich in Otavalo besuchen. Carlos ist taub, kommt aus Venezuela, praktiziert Martial Arts. Er bringt mir Ländernamen in Zeichensprache bei. Er möchte mir ein Kind machen und dann irgendwann, wo auch immer ich dann wohne, dazukommen. Ich verneine lachend.

Am Morgen regnet es. Wir laufen Hand in Hand zum Busbahnhof, umarmen uns fest und fahren in entgegengesetzte Richtungen ab. Über Ibarra nach Tulcán, mit dem Taxi zur Grenze. Papierkram.

Kolumbien ist wunderschön. Grün und natürlich. Die Grenze ist ein anstrengendes Angebot von Taxis, Tourismus und anderen Verkäufern. Geldwechsler wedeln mit Dollarbündeln, eine junge Frau mit einer großen Narbe im Gesicht möchte Englisch üben, Taxifahrer bieten ihre Dienste an. Im Bus hat mich die 18-jährige Valeria angesprochen, ob wir uns ein Taxi zur Grenze teilen wollen. Nun fahren wir gemeinsam nach Ipiales, teilen uns ein Zimmer im schäbigen Hostel und besichtigen am nächsten Tag die in einer Schlucht gebaute Kirche Las Hajas.

Mit dem Kleinbus fahren wir weiter nach Pasto. Dort trennen sich unsere Wege im Regen, sie bleibt, ich fahre weiter nach Mocoa. Ein junger Fahrer schnappt sich meinen Rucksack und baut ihn in den schon vollen Kofferraum ein. Ich zeige auf mein Ticket und das andere Auto mit entsprechender Nummer. Er meint, hier fahre ich mit. OK. Soll mir recht sein, so komme ich eher los, respektive eher an. Denkste 😉
Erneut eine abenteuerliche Fahrt durch den Regen und mehrere Erdrutsche. Wir fahren zügig los, etwas außerhalb fängt der Fahrer an zu telefonieren. Dann hält er an und will die Tickets einer älteren Frau und von mir sehen. Ihr sitzt im falschen Auto, skandiert er. Die Alte antwortet, ich habe dich zweimal gefragt, zweimal! Wir fahren weiter. Halten ein weiteres Mal, er holt ein Paket aus einem Haus. Er fährt zügig, rasant, viele Kurven. Wir halten erneut, eine weitere Passagierin steigt zu. Kurz darauf ein Pinkelstopp und kurz danach eine Essenpause. Er fährt mit lauter Musik, ich sitze auf dem Lautsprecher und habe Kopfschmerzen. In der dritten Pause bitte ich ihn, die Musik leiser zu stellen. Er meint, er höre vorne nichts. Meinen Einwand, dass er zum Fahren keine Musik brauche und das hier keine Disko sei, nimmt er kaum wahr und geht einfach weg. Argh!
Wir wummern weiter durch die Berge und Schluchten, es dämmert und fängt an zu regnen. Keine gute Kombination mit Schotterstraßen. Auf der engen, kurvigen Straße sind einige Lastwagen unterwegs. An den engen Stellen muss einer zurück setzen und die anderen vorbei lassen. Dann stehen wir eine Weile, weil zwei Lastwagenfahrer stur auf ihre Vorfahrt beharren. Im Wagen wird von Polizei geredet, wenn keiner nachgeben will. Dann geht es doch weiter. Die Musik wird noch lauter gedreht. Ich habe mir Taschentücher in die Ohren gesteckt. Hilft nicht viel. Wieder halten wir. Ein Erdrutsch verhindert die Weiterfahrt. Einer von vielen. Der große kommt noch.

Vier Männer waten im Scheinwerferlicht durch den braunen Strom auf der Straße und tasten mit den Händen nach Steinen. Manche müssen sie zu zweit aus dem Weg rollen. Respekt. Mir war schon im Bus kalt. Nachdem die schweren Laster die Passage sicher durchquert haben, können auch wir passieren. Im Wagen werden Stoßgebete in die Luft geschleudert. Wie werden auch ordentlich durchgeschüttelt. Geschafft. Wir kommen heil drei Stunden zu spät in Mocoa an.

Am Busbahnhof frage ich nach einer preiswerten Bleibe. Direkt nebenan gibt es ein Hotel. Fenster zum Gang, stickig, kein Wasser – seit zwei Monaten lebt der Ort aus großen Wassertanks, das Becken wird saniert. Der Hotelbesitzer warnt mich noch vor zwielichtigen Typen, dann falle ich mit Kopfschmerzen und Ohrstöpseln in den Ohren in erholsamen Schlaf.

Am nächsten Tag fahre ich mit dem Collectivo ans Ende der Welt. Zwanzig Minuten südlich von Mocoa liegt der Wasserfall Fin del Mundo mitten im Dschungel. Eine schwankende Holzbrücke hängt über dem braunen Fluss. Auf der anderen Seite wollte ich eigentlich die zwanzig Minuten den Pfad folgend zum Huaca Huaca Hostel laufen. Doch Señora Nora, eine Indígena, kommt lächelnd auf mich zu, als ich die Polizisten fotografiere, die sich vor ihren Mignonmülltonnen fotografieren. Sie lädt mich ein die cabaña und den Zeltplatz anzusehen. Hinter dem Haus mit offener Küche laufen wir an zwei kleinen bewässerten Feldern vorbei, überqueren den Bach auf Bambushölzern und steigen durch ein kleines Wäldchen hinauf zum überdachten Zeltplatz, der Hütte, dem Feuerplatz und dem privaten, reinigenden und heilenden Wasserfall Iaku Kausai, der auch gleichzeitig die Dusche ist.

Ein himmlisch ruhiger Ort zum Versacken. Ich bleibe fast eine Woche und schlafe, schlafe, schlafe. Nur Essen gibt es nicht viel in den drei kleinen Läden an der Straße. Ein Restaurant bietet guten Fisch mit Reis und Banane. Im Rucksack habe ich noch Haferflocken und Kaffee sowie genügend Propangas.
Der Wasserfall darf nur nackt betreten werden. Mir ist es lieb und die Dusche mal wieder nötig. Nora kommt dazu, spricht einige Worte, lässt mich an verschiedenen Stellen im Wasserfall ausharren und reibt mich danach mit einem blumig riechenden Öl ein. Ich bin gereinigt und darf gern bleiben. Auf der Zeltterrasse kann ich das Moskitonetz aufhängen und wunderbar zum Surren der Zikaden und dem Rauschen des Wasserfalls schlafen. Jeden Tag verlängere ich meinem Aufenthalt um eine weitere Nacht.
Einen Tag regnet es komplett, ich schlafe. Der nächste Tag ist sonnig. Ein Ausflug nach Mocoa, um die Vorräte aufzufüllen endet nach langem Warten mit Marco auf der anderen Seite des Flusses, dort, im Schilf versteckt hat er Connections.
Am nächsten Tag bin ich zu spät, Eintritt ist nur bis zwölf Uhr. So laufe ich ein paar Kilometer die Straße Richtung Amazonas. An einer Brücke, geht es zum kristallklaren Fluss hinab. Auf einer Halbinsel zwischen den Steinen unter ein paar Bäumen fühle ich mich wie Robinson Crusoe, nackt in der Natur.

Am nächsten Tag dann kann ich endlich ans Ende der Welt. Ein anstrengender Weg über Baumstämme, die nach dem einsetzenden Regen glitschig, rutschig sind. Oben ein rundes Wasserbecken am breiten Wasserfall. Unter dem Felsvorsprung ein Restaurant, das geräucherten Fisch anbietet. Von der Nationalparkwächterin angeleitet, wate ich durch den Fluss und laufe über die Steinbrücke zum Ende der Welt, wo der Fluss steil über die Felsen hinabstürzt. Kletterseile an einem Ring sichern die begurteten Besucher. Ich habe die Aussicht für mich allein. Warum am Ende der Welt ausgerechnet Mocoa in der Ferne zu sehen ist, verstehe ich nicht.

Noch ein Tag Paradies, noch ein Tag duschen unter dem Wasserfall, noch ein Tag Fisch im Straßenrestaurant. Dann packe ich meine Sachen und fahre nach San Agustín.

Bis ans Ende der Welt bin ich gefahren. Hier bist du auch nicht. Nicht einen Moment auf der ganzen Reise dachte ich dich gesehen zu haben. Ich habe dich nicht gefunden. Nun sitze ich unter dem Moskitonetz neben Noras reinigendem und heilendem Wasserfall Iaku Kausai. Es regnet wie aus Eimern. Die Geräuschkulisse ist ein einziges Rauschen. Diesen Ort habe ich gesucht und gefunden. Dich habe ich auch gesucht und nicht gefunden. Ich bleibe eine Weile hier. Ich suche nicht mehr.

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